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Corona und der Energiesektor

COVID-19 hat global gewirkt und auch den Energiesektor stark beeinflusst. Im Interview mit Bernhard Mayerhofer, Leiter Energiewirtschaft und Geschäftssteuerung, wollten wir von ihm wissen, inwiefern Corona den Energiehandel Schweiz und Europa beeinflusst.

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Bernhard Mayerhofer

Bernhard Mayerhofer

Leiter Energiewirtschaft und Geschäftssteuerung
AEW Energie AG

Master of Science in Engineering und Diplomingenieur FH. Bei der AEW Energie AG seit 2017 engagiert er sich auch seit Februar 2020 beim VSE in der Kommission Energiewirtschaft. Zuvor 9 Jahre in verschiedenen Führungsfunktionen im Geschäftsbereich Gas & Power / OMV Konzern (Wien, Bukarest) sowie 7 Jahre beim Verbund Austrian Power Trading GmbH (Wien), wo er alle Liberalisierungsschritte bis hin zur vollständigen Marktöffnung aktiv mitgestaltet hat.

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COVID-19 hat global gewirkt und auch den Energiesektor stark beeinflusst. Inwiefern hat die Pandemie den Energiehandel Schweiz verändert?

Seit September 2019 beobachten wir eine sukzessive Abwärtsbewegung der Stromterminmarktpreise am Grosshandelsmarkt Schweiz. Diese ist sowohl auf schwächere Brennstoffpreise und sich eintrübende Wirtschaftsaussichten im europäischen und internationalen Kontext, als auch auf den Handelsstreit zwischen den USA und China zurückzuführen. Die Strompreise am Grosshandelsmarkt Schweiz für das Produkt Baseload cal 2021 sind von 58 CHF/MWh (Stand Mitte September 2019) auf 47 CHF/MWh (Anfang März 2020) gefallen, was einer Reduktion von knapp 20 Prozent entspricht. Danach ist der Stromterminmarktpreis kurzfristig weiter auf gut 40 CHF/MWh (Mitte März 2020, Beginn Lockdown) gesunken und hat sich dann relativ schnell - aufgrund der Massnahmen der einzelnen Regierungen in Europa und der Schweiz - wieder etwas erholt. Aktuell liegt der Stromterminmarktpreis für das Produkt Baseload cal 2021 auf einem Niveau von etwas über 49 CHF/MWh (Stand Ende August 2020), also rund 2 CHF/MWh über dem Preisniveau von Anfang März 2020, vor dem Lockdown. Inwieweit COVID-19, also vor allem der Energiebedarf der Endkunden, den Energiehandelsmarkt in der Schweiz im längerfristigen Kontext beeinflussen wird, werden die nächsten Monate, wenn nicht sogar die nächsten ein bis zwei Jahre, zeigen.

Sieht es beim europäischen Grosshandel ähnlich aus, oder gibt es da spürbare Unterschiede? Wie stark ist die AEW vom europäischen Handel abhängig?

Beispielsweise in Deutschland zeigt sich ein ähnlicher Verlauf der Stromterminmarktpreise. Mitte September 2019 lag der Strompreis am Grosshandelsmarkt Deutschland noch bei rund 50 EUR/MWh, Anfang März 2020 dann knapp unter 40 EUR/MWh und Mitte März 2020 bei etwas unter 35 EUR/MWh für das Produkt Baseload cal 2021. Ende August 2020 liegt der Stromterminmarktpreis auf einem Niveau von etwas mehr als 41 EUR/MWh, also etwas über dem Preisniveau von Anfang März 2020, vor Beginn desLockdowns. Auch am Beispiel Energiehandelsmarkt Deutschland ist es aktuell schwer einzuschätzen, wie sich die COVID-19 Pandemie längerfristig auf den Energiebedarf der Endkunden auswirken wird. Unabhängig von COVID-19 legt die AEW ein besonderes Augenmerk auf das Monitoring der Stromangebotsseite (= Stromerzeugung), also den Umbau des Kraftwerkparks in Deutschland (weg von der Stromproduktion aus Nuklear und Kohle hin zu erneuerbaren Energien wie beispielsweise Wind und Photovoltaik). Damit geht auch der Umbau von grossen zentralen Kraftwerkseinheiten hin zu kleineren dezentraleren Einheiten einher. Dabei spielt der CO2-Zertifikatsmarkt, vor allem auch aus energiepolitischer Sicht, eine zentrale Rolle beim Umbau des Systems: Je teurer die CO2-Zertifikate am Markt sind, desto weniger lukrativ ist beispielsweise die Kohleverstromung. Entgegen dem, sollten Stromerzeugungseinheiten, die wenig oder weniger CO2-Emissionen verursachen, umso lukrativer sein. Für die AEW spielt der schweizerische als auch der europäische Stromhandel eine wichtige Rolle, da wir den Strom, den wir nicht aus eigenen Produktionsanlagen oder Kraftwerksbeteiligungen erzeugen können, am Grosshandelsmarkt Schweiz einkaufen. Da die Grosshandelsmärkte am Beispiel Schweiz und Deutschland über Import-/ Exportkapazitäten physisch gekoppelt sind, hängen diese Grosshandelsmärkte voneinander ab. Auch für eine Vielzahl unserer Kunden ist der Zugang zum Grosshandelsmarkt Schweiz essenziell: Diesen Kunden bieten wir über das Dienstleitungspaket Portfolio Management unter anderem den Zugang zu Grosshandelsmarktpreisen an. Im Wesentlichen geht es einerseits darum, den optimalen Zeitpunkt der Beschaffung von Terminmarktprodukten zu triggern, und andererseits den Kunden die Markttransparenz zu ermöglichen.

Was bedeutet das konkret für den Energiepreis, welche Auswirkungen hatte die Krise auf die Preise der AEW?

Kurzfristig hat der Lockdown die Stromterminmarktpreise auf Talfahrt geschickt. Seit Anfang April 2020 haben sich die Preise jedoch wieder auf das Preisniveau vor dem Lockdown erholt. Aufgrund der nationalen Lockdown-Massnahmen ist der Strombedarf in einzelnen Kundensegmenten (beispielsweise in der Hotellerie, in der Gastronomie, im Coiffeurgewerbe und weiteren) teilweise signifikant zurückgegangen, was auch gut in den Spotmarktpreisen erkennbar war. Aufgrund der deutlich tieferen Stromabsatzmenge an Kunden im Gesamtmarkt Schweiz und der sehr guten Versorgungslage (= Kraftwerksverfügbarkeit) auf der Erzeugungsseite, ergab sich im Zeitraum des Lockdowns ein deutlich tieferes Spotmarktpreisniveau im Vergleich zu den Vorjahren. Einige unserer Kunden haben den Zeitpunkt der tiefen Terminmarktpreisephase von Mitte März bis Anfang April 2020 genutzt, um einen Teil ihres Strombedarfs für die Jahre 2022 bis 2024 zu beschaffen. Die aufgrund der Absatzrückgänge resultierenden Überdeckungen hat die AEW zu Spotmarktpreisen (nicht gewinnbringend oder ergebnisneutral) verwerten können. Mit den betroffenen Kunden stehen wir in Kontakt und arbeiten laufend an partnerschaftlichen Lösungen.

Was unternimmt die AEW, um ihren Kunden gute Energiepreise zu ermöglichen?

Die AEW hat verschiedene Produkte im Portfolio, die es dem Kunden ermöglichen, von Strompreisschwankungen am Stromgrosshandelsmarkt zu profitieren. Sehr gute Beispiele dafür sind das Produkt AEW Fonds oder das Portfolio Management Dienstleistungspaket für unsere Kunden. Beim AEW Fonds profitieren unsere Kunden davon, dass sie nach einer vordefinierten Beschaffungsstrategie (über 18 Tranchen und in einem vordefinierten Beschaffungszeitraum) ihren individuellen Strompreis festlegen. Dieses Produkt ist auf die jeweiligen Bedürfnisse und Anforderungen abgestimmt. Bei den Portfolio Management Dienstleistungen für unsere Kunden wird ein individuelles Dienstleistungspaket geschnürt, wobei die optimale (= kostengünstige) Beschaffung von Strom im Vordergrund steht. Bei der Beschaffungsstrategie wird auf Basis des Kundenprofils und den Kundenanforderungen an die Strombeschaffung ein massgeschneiderter Beschaffungsplan definiert und effektiv umgesetzt. Dabei wird auch die Beschaffung von Herkunftsnachweisen nicht vergessen. Zudem hat die AEW den einen oder anderen Kunden, der einen Teil seines Strombedarfs am stündlichen Spotmarktpreis indiziert hat. Diese Kunden profitieren enorm von einer Niedrigpreisphase am Spotmarkt.

Was denkst du persönlich: Wie entwickelt sich der Energiepreis Schweiz mittel- bis langfristig?

Vorab müssen wir mittel- bis langfristig definieren. In meiner Definition bezieht sich mittel- bis lang-fristig auf die nächsten 1 bis 5 Jahre, d.h. die Lieferjahre 2021 bis 2025. Für das Lieferjahr 2021 gehe ich davon aus, dass wir hier weiterhin die relativ stark volatile Phase beibehalten werden, dies vor allem getrieben aus dem CO2-Emissionszertifikate-Markt. Aus fundamentaler Sicht gehe ich davon aus, dass das aktuelle Umfeld rund um die Stromnachfrageseite (weiterhin schwächelnde Wirtschaftslage, COVID-19 geschuldete Firmenkonkurse, usw.) und die Stromangebotsseite (weiterhin sehr gute Kraftwerksverfügbarkeit, hohe Stromerzeugung aus Wind und PV im europäischen Kontext, hohe Wasserspeicherfüllstände in den Alpen, hohe Gasspeicher- und gut gefüllte Kohlelager in Europa, usw.) eher für ein niedriges Strommarktpreisniveau (Spannbreite 43 bis 48 CHF/MWh für Baseload cal 2021) sprechen - sofern der CO2-Zertifikate-Marktpreis dieser fundamentalen Einschätzung keinen Strich durch die Rechnung macht. Längerfristig gehe ich davon aus, dass wir für die Lieferjahre ab 2023 wieder deutlich höhere Marktpreisniveaus (über 60 CHF/MWh) haben werden. Die Treiber dafür sind vielseitig: Beilegung des Handelsstreits zwischen USA und China, höhere Preisniveaus bei Gas-, Kohle-, Öl und CO2-Marktpreise aufgrund der anziehenden Nachfrage aus der Wirtschaft, eine weiterhin energiepolitische Verknappung der CO2-Zertifikate (um die CO2-Emissionseinsparungsziele zu erreichen), Beibehaltung des Strukturwandels hinsichtlich des europäischen Kraftwerkparks hin zu mehr neuen erneuerbaren Energie und Dezentralisierung der Stromproduktion. Die Liste ist natürlich nicht abschliessend.