Können Sie die Stromversorgung im Aargau ab 2025 noch garantieren?
Hubert Zimmermann, der CEO der AEW Energie AG, will Kernenergie und Erneuerbare nicht gegeneinander ausspielen, wünscht sich eine Bewilligung für einen Windpark und findet ein Gaskraftwerk als Rückversicherung sinnvoll.
Interview mit Fabian Hägler von der Aargauer Zeitung
«Heute ist ein guter Tag für die Solarenergie», sagt Hubert Zimmermann, als die AZ ihn zum Interview trifft. Für das Foto posiert der Chef des grössten Aargauer Energieversorgers bei Sonnenschein auf der Terrasse des AEW-Hochhauses - doch sein Unternehmen muss auch bei schlechtem Wetter die Stromversorgung sicherstellen. Dafür setzt Zimmermann auf einen Mix verschiedenster Energiequellen.
Wir sitzen im AEW-Hochhaus, von hier aus sieht man den Dampf aus dem Kühlturm des AKW Gösgen - was löst dieses Bild bei Ihnen aus?
Die Dampffahne zeigt mir, dass die Anlage gut läuft und zur Stromversorgung beiträgt. Gerade im Winter macht die Kernenergie einen wesentlichen Anteil aus, insofern bin ich dankbar, dass das Kraftwerk zuverlässig Strom produziert.
Ein Störfall in einem AKW kann katastrophale Folgen haben, die Kraftwerke produzieren radioaktiven Abfall - wie sehen Sie die Kernenergie grundsätzlich?
Jede Technologie hat Vor- und Nachteile, aber ich weiss als Physiker, wie ein Kernkraftwerk funktioniert, und habe Vertrauen ins Personal, das dort arbeitet. Wir haben einen grossen Energiebedarf, der Strom muss irgendwie produziert werden. Wenn man Kernkraftwerke kritisiert, stellt sich immer die Frage, welche Alternativen es gibt.
In den letzten Wochen kam von FDP und Wirtschaftsverbänden die Forderung nach neuen Atomkraftwerken - halten Sie das für sinnvoll?
Es ist eine Tatsache, dass es bei der Umsetzung der Energiestrategie 2050 einige Fragezeichen gibt und dass wir weiterhin kein Stromabkommen mit der EU haben. Kurzfristig ist ein neues Kernkraftwerk sicher nicht realistisch, wenn man die politische Situation und die Akzeptanz in der Bevölkerung anschaut. Aber wir tun gut daran, uns bei der Stromproduktion alle Optionen offenzuhalten und auf Technologie-Offenheit zu setzen.
In Frankreich und in Finnland wurden zuletzt zwei neue AKW gebaut. Beide waren massiv teurer als budgetiert und die Bauzeit dauerte viel länger...
Ich kenne die genauen Gründe für die höheren Baukosten und die Verzögerungen nicht. Grundsätzlich muss man sich immer die Frage stellen, wie hoch die Kosten auf die gesamte Lebensdauer einer Anlage ausfallen. Das ist bei einem Wasserkraftwerk nicht anders, auch das sind grosse Investitionen, aber wenn das Werk dann Jahrzehnte läuft und zuverlässig Strom produziert, sind sie gerechtfertigt.
Die AEW ist via Axpo oder direkt an allen Atomkraftwerken in der Schweiz beteiligt - würden Sie auch ein neues AKW-Projekt mittragen?
Diese Frage stellt sich derzeit nicht, weil wir noch nicht einmal wissen, wie die neue Generation von Kernkraftwerken aussehen könnte, die nun gefordert wird. Grundlage für die AEW ist die Eigentümerstrategie des Kantons, dort wird auf die Strategie «Energie Aargau» und Energiestrategie 2050 mit dem Ausstieg aus der Kernenergie verwiesen. Unabhängig davon halte ich es für falsch, Kernenergie und erneuerbare Energie gegeneinander auszuspielen.
In der Politik wird aber genau das momentan heftig diskutiert. Wie viel Potenzial hat denn die erneuerbare Energie aus Ihrer Sicht?
Wir stehen voll hinter den Erneuerbaren, rüsten unsere Wasserkraftwerke auf, realisieren Solaranlagen, auch mit Partnern aus der Wirtschaft und planen Windparks. Damit setzen wir auf einheimische Produktion, zudem gibt das Arbeitsplätze und Wertschöpfung in der Schweiz. Doch wir bewegen uns im Markt und müssen nach wirtschaftlichen Kriterien entscheiden, das verlangt richtigerweise auch der Kanton als Eigentümer. Deshalb können wir nicht einfach Kapazität bei der erneuerbaren Energie zubauen unter dem Motto «koste es, was es wolle».
Der Bund warnt vor einer möglichen Strommangellage im Winter ab dem Jahr 2025 - wie gross ist dieses Risiko aus Ihrer Sicht?
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Strommangellage eintritt, bei der phasenweise nicht mehr alle Kunden beliefert werden könnten, wird sicher steigen. Dennoch ist es immer noch sehr unwahrscheinlich, dass ein solcher Fall eintritt. Es müssten mehrere ungünstige Faktoren zusammenkommen, aber Fakt ist: Wir sind im Winter vom Stromimport abhängig. Rechtlich ist dies nicht ausreichend geregelt, weil wir kein Stromabkommen mit der EU haben, deshalb besteht eine gewisse Unsicherheit.
Die AEW hat vom Kanton den Auftrag, die Stromversorgung im Aargau sicherzustellen. Können Sie das auch ab 2025 noch garantieren?
Einerseits gibt es auf nationaler Ebene die Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen, kurz Ostral, die sich damit befasst, wie eine schwere Mangellage bewältigt werden kann. Wir als AEW produzieren in eigenen Kraftwerken und in Partnerwerken, an denen wir beteiligt sind, rund die Hälfte des Stroms selber, den wir verkaufen. Im letzten Herbst haben wir zum Beispiel einen Anteil am Wasserkraftwerk Ryburg-Schwörstadt am Rhein erworben und damit unsere Eigenproduktion um 170 Gigawattstunden pro Jahr erhöht. Um die drohende Stromlücke im Winter zu schliessen, sind derzeit auch Gaskraftwerke im Gespräch.
Im Grossen Rat ist ein Vorstoss hängig, eine bestehende Anlage der Firma Ansaldo in Birr zu nutzen. Gas ist zuletzt massiv teurer geworden, zudem wird bei der Verbrennung viel CO2 frei...
Ich finde ein Gaskraftwerk als Rückversicherung für Zeiten mit knappem Stromangebot durchaus sinnvoll. Ganzjährig darauf zu setzen, fände ich aber falsch, dafür ist die CO2- Bilanz zu schlecht. Wenn ein solches Kraftwerk nur wenige Tage im Jahr läuft, ist der Betrieb nicht rentabel. Dann muss man die ungedeckten Kosten wohl mit einem Beitrag auf alle Kunden abwälzen.
Wie sieht der Strommix der AEW aus - wie viel Atomenergie, wie viel Wasserkraft, wie viel Sonnenstromproduziert Ihr Unternehmen?
Wir produzieren jährlich rund 1400 Gigawattstunden Strom, davon kamen im Jahr 2020 etwa 61 Prozent aus Wasserkraft, 37 Prozent aus der Kernkraft und etwa zwei Prozent aus neuen erneuerbaren Energien. Davon entfallen fast 80 Prozent auf Solarenergie, dieser Bereich wächst auch am schnellsten. Zusammen mit dem Windstrom könnten wir bis im Jahr 2035 bei einem Anteil der neuen erneuerbaren Energien von über 10 Prozent stehen.
Wie sieht der Liefermix aus, also die Aufteilung der Stromarten, welche die AEW ihren Kunden verkauft?
Das hängt stark davon ab, welchen Strom unsere grossen Industriekunden beziehen, deshalb verändert sich der Liefermix von Jahr zu Jahr. Die Zahlen von 2021 haben wir noch nicht, 2020 waren es rund 59 Prozent Wasserkraft, knapp 35 Prozent Kernkraft und 6 Prozent neue erneuerbare Energien.
Sie bieten drei verschiedene Stromprodukte für Privatkunden an, aber keines davon enthält Atomstrom - wer bezieht denn diesen?
Strom aus Kernenergie beziehen unsere Industriekunden, weil dieser am günstigsten ist. Manche Firmen setzen im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie auch bewusst auf erneuerbaren Strom, also Wasserkraft.
Wie hoch ist der Anteil der verschiedenen Stromprodukte für Private? Wie viele Leute im Aargau beziehen «classic» mit 100% Wasserkraft, wie viele «naturstrom» mit 85 % Wasser und 15 % Solar, wie viele «naturstrom+ » mit 55 % Solar, 40 % Wasser und 5 % Wind?
Im Jahr 2020 haben gut 60 000 Kunden «classic» -Strom bezogen, 39 000 Personen entschieden sich für «naturstrom» und 740 bestellten «naturstrom+ ». Der Anteil der Kundschaft, die «naturstrom» bezog, also die mittlere Variante, hat sich im Vergleich zum Vorjahr um rund 20 Prozent erhöht. Bei den Bezügern von «naturstrom+ » mit sehr hohem Solaranteil hat sich der Anteil zuletzt kaum verändert.
Wie erklären Sie sich, dass so wenige Leute «naturstrom+» beziehen?
Das ist schwierig zu erklären, denn die Preisunterschiede sind relativ gering. Die mittlere Variante mit 15 Prozent Solarstrom ist 0,6 Rappen teurer pro Kilowattstunde, « naturstrom+ » mit 60 Prozent Solar- und Windstrom kostet 2,4 Rappen mehr pro Kilowattstunde. Ich glaube, dass viele Kunden ein kleines Zeichen für erneuerbare Energie setzen wollen, aber doch auch auf den Preis schauen. Dazu gibt es Leute, die in eine Fotovoltaikanlage investiert haben und dann nicht « naturstrom+ » beziehen.
Der Regierungsrat plant eine Solaroffensive, SP, Grüne und GLP setzen auf Sonnenenergie - wie gross ist das Potenzial im Kanton Aargau?
Gemäss einer aktuellen Studie könnten im Aargau total 5350 Gigawattstunden Solarstrom produziert werden - etwa gleich viel, wie im Kanton derzeit pro Jahr verbraucht wird. Etwa 4400 Gigawattstunden kämen dabei aus gebäudegebundenen Anlagen. Vieles sind kleine Anlagen auf Einfamilienhäusern, die häufig auch noch mit einer Wärmepumpe, einer Ladestation für das Elektroauto und einem Batteriespeicher verbunden sind. Wenn man den nötigen Zubau an Solarkapazität erreichen will, sind aber auch grössere Anlagen nötig.
Solarpanels auf Dächern und an Fassaden sind breit akzeptiert. In Deutschland werden auch auf Wiesen und Äckern solche Anlagen gebaut - sehen Sie das auch im Aargau als Option?
Nein, dafür sehe ich im Aargau und in der Schweiz wenig Potenzial, die Akzeptanz für Solarpanels auf der grünen Wiese wäre hier wohl nicht gegeben. Wenn es um die Frage geht, ob man auf einem Feld Nahrungsmittel oder Solarstrom produzieren soll, ist der Fall für mich klar. Aber an Autobahnböschungen oder auf Flächen in Industriegebieten, die für eine spätere Bebauung freigehalten werden, könnte ich mir durchaus Solaranlagen vorstellen.
Sie planen auf dem Lindenberg einen Windpark, dagegen gibt es Widerstand. Kürzlich wurde im Jura ein seltener Adler von einer Windturbine getötet - hat die Windenergie im Aargau eine Chance?
Wir würden sofort mit dem Bau des Windparks auf dem Lindenberg beginnen, wenn wir die Bewilligung hätten. Als ich im Sommer 2013 als CEO der AEW anfing, ging ich davon aus, dass wir relativ rasch ein Windprojekt realisieren können, doch die Bewilligungsverfahren ziehen sich hin. Windenergie hat den grossen Vorteil, dass zwei Drittel der Produktion im Winter anfallen, wenn Solarpanels weniger Ertrag liefern. Man kann Windräder schön finden, oder auch nicht, aber es ist eine bewährte Technologie und wir sind überzeugt, dass sie einen Teil zum Strommix der Zukunft beitragen soll.
Wäre es nicht sinnvoller, den Ausbau von Windparks auf dem Meer zu fördern und sich daran zu beteiligen, als auf den Aargauer Hügeln ein paar Windräder aufzustellen, die relativ wenig Strom liefern?
Man kann ein solches Projekt immer klein reden und sagen, einen Windpark auf dem Lindenberg zu bauen, der rund 30 Gigawattstunden liefert, sei nicht verhältnismässig. Aber wenn man sieht, dass während der Pandemie eine Maskenlieferung für die Schweiz blockiert wurde, ist das ein Zeichen dafür, dass wir uns bei lebenswichtigen Gütern weniger stark vom Ausland abhängig machen sollten. Wenn der Strom knapp wird, könnten wir noch froh sein, wenn wir im Inland Produktionskapazitäten haben - dazu gehört auch der Wind.
Kürzlich hat sich der Kanton Jura für ein Geothermie-Projekt ausgesprochen. Der Aargau ist eigentlich gut geeignet für Erdwärmekraftwerke, es gibt hier auch einen Förderverein dafür. Wie stehen Sie zu dieser Technologie?
Geothermie ist eine interessante Energieform, jedoch noch in der Entwicklungsphase. Nach den Erdbeben in Basel und St. Gallen werden wir das neue Projekt im Kanton Jura genau beobachten und analysieren. Es macht aus Sicht der AEW keinen Sinn, jetzt im Aargau auch ein Pilotprojekt zu lancieren, weil die Tiefbohrungen, die für die Stromproduktion aus Erdwärme nötig sind, aufwendig und teuer sind. Wenn sich aber zeigen sollte, dass die Erfahrungen im Jura positiv sind und die Technologie funktioniert, sehe ich auch im Aargau durchaus Potenzial für die Geothermie.
Die AEW plant in Augst BL zusammen mit Partnern eine Anlage zur Wasserstoffproduktion. Ist das die Energie der Zukunft, weil Wasserstoffbei der Verbrennung kein CO2 erzeugt?
Grüner Wasserstoff ist attraktiv, weil man diesen im Sommer aus Erneuerbaren produzieren und im Winter verbrennen kann, dies wäre auch in einem Gaskraftwerk möglich. Der Nachteil beim Wasserstoff liegt darin, dass der Wirkungsgrad relativ schlecht ist und ziemlich viel nutzbare Energie verloren geht, wenn man daraus Strom produzieren will. Gerade im Transportwesen, bei Lastwagen und Schiffen, kann Wasserstoff wichtig werden. Bei der Stromerzeugung kann er eine Rolle spielen, aber nicht alle Probleme lösen.