Strommangel: Die OSTRAL sorgt vor
«Eine Strommangellage ist neben der Pandemie die grösste Gefahr für die Versorgung der Schweiz», sagte Wirtschaftsminister Guy Parmelin im vergangenen Herbst. Damit rückte er auch die Organisation in den Fokus, die bei einer Strommangellage aktiv wird.
Damit keine Missverständnisse auftreten: Eine Strommangellage unterscheidet sich grundsätzlich von einem Blackout, einem grossflächigen Stromausfall, bei dem das Netz unkontrolliert zusammenbricht. Im Gegensatz dazu tritt eine Strommangellage nicht plötzlich auf, sondern ergibt sich aus einem länger anhaltenden Ungleichgewicht von Stromangebot und -nachfrage. Strommangel ist also mithilfe von Daten und Erfahrungswerten grundsätzlich vorhersehbar.
Fachleute aus der Strombranche
Zuständig für die Vermeidung und notfalls die Bewältigung einer Strommangellage ist die Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen (OSTRAL). Die OSTRAL ist eine Kommission des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Sie gliedert sich in drei Bereiche: Angebotslenkung, Verbrauchslenkung und Dienste. Fachleute der Stromproduzenten und Netzbetreiber tauschen sich im Rahmen der OSTRAL regelmässig aus. Tritt eine Strommangel lage ein, setzen sie die vom Bundesrat angeordneten Massnahmen um. Die Energieunternehmen agieren dabei als Teil der OSTRAL.
Vielfältige Szenarien
Als Bundesrat Parmelin von einem Strommangel als mögliche Gefahr für die Schweiz sprach, bezog er sich auf die Risikoanalyse «Katastrophen und Notlagen Schweiz 2020» (KNS) aus dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz. Die KNS umfasst die aktuellen Erkenntnisse über mögliche Bedrohungslagen und bildet die Basis für die nationalen Notfallplanungen. Bereits 2015 wurde in der KNS-Analyse eine Strommangellage als grösstes Risiko für die Schweiz identifiziert. Das Thema ist also nicht neu, erhält wegen des fehlenden Stromabkommens mit der EU aktuell jedoch viel Aufmerksamkeit. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Faktoren, die zu einer Strommangellage führen können. Etwa eine längere Trockenphase mit tiefen Wasserständen in den Stauseen, Schäden am Übertragungsnetz wegen Extremwetterereignissen oder wenn Stromnetze durch Cyberattacken gestört oder gar lahmgelegt werden. Massnahmen für die Bewältigung solcher Szenarien vorzubereiten und die wirtschaftlichen Akteure entsprechend zu sensibilisieren, gehört zu den Aufgaben der OSTRAL. So verschickte sie bereits im vergangenen Herbst eine Informationsbroschüre an rund 30 000 Strom-Grossverbraucher. Sie fordert Betriebe mit einem Verbrauch von jährlich über 100 Megawattstunden auf, sich vorausschauend auf eine mögliche Strommangellage vorzubereiten und Sparpotenziale zu identifizieren.
Mehrstufige Massnahmen
Sollte tatsächlich eine «schwere Mangellage» eintreten, ist es Aufgabe des Bundes, geeignete Massnahmen zu ergreifen, um die Versorgung der Schweiz zu gewährleisten. Wichtigster Ansatzpunkt ist die Lenkung von Angebot und Verbrauch. Dazu erlässt der Bundesrat jeweils entsprechende Verordnungen, welche die Massnahmen im Detail festlegen. Auf der Angebotsseite wird die Stromproduktion und damit insbesondere die Bewirtschaftung der Stauseen zentralisiert, zudem können Stromhandel und Exporte begrenzt werden. Um den Verbrauch zu senken, kann die OSTRAL Verbrauchseinschränkungen und Verbote erlassen: zunächst für energieintensive, aber nicht zwingend notwendige Anwendungen wie Schwimmbäder, Klimaanlagen, Rolltreppen oder Aufzüge. Spitzt sich die Lage weiter zu, werden Grossverbraucher verpflichtet, durch Kontingentierungen eine vorgegebene Strommenge einzusparen. Unternehmen können sich so individuell vorbereiten und Einsparungen dort treffen, wo sie ihren Betrieb am wenigsten einschränken. Als Ultima Ratio sieht der Massnahmenkatalog schliesslich rotierende Netzabschaltungen für einzelne Verteilnetzgebiete vor. Das hätte allerdings weitreichende Folgen und sollte nach Möglichkeit vermieden werden.

Windkraft und Solarenergie decken knapp 10 % des Verbrauchs
«Wichtigster Ansatzpunkt bei einer Strommangellage ist die Lenkung von Angebot und Verbrauch.»
Sichere Energiewende ist machbar
Auch der VSE, welcher die Geschäftsstelle OSTRAL führt, setzt sich für eine zukunftsgerichtete und sichere Energieversorgung ein. In seiner «Roadmap Versorgungssicherheit» präsentiert er einen breiten Massnahmen-Katalog zum Thema. Kurzfristig fordert der Verband die Schaffung aussermarktlicher Stromreserven, Investitionssicherheit beim Um- und Ausbau sowie der Digitalisierung der Stromnetze und mahnt eine moderate Anwendung von Landschafts- und Gewässerschutzvorschriften an. Allzu häufig stehen diese nämlich einer zügigen Umsetzung neuer Wasser-, Wind- oder Solarkraftwerke im Wege. VSE-Direktor Michael Frank stellt klar: «Die sichere Versorgung der Schweiz mit erneuerbarer Energie ist machbar. Aber sie ist nicht umsonst zu haben und sie bedarf eines kollektiven Kraftakts». Die Voraussetzungen dafür sind gut: Die Schweiz verfügt nicht nur über eine moderne Produktions- und Netzinfrastruktur, einen innovativen Werk- und Forschungsplatz, sondern ist als wichtige Drehscheibe im gesamteuropäischen Stromnetz eingebunden. Die Roadmap bezieht deshalb alle Ebenen ein: von der Produktion und Speicherung über die Verteilnetze und den Handel bis zum letzten Glied in der Kette, dem Endverbraucher und dessen neuer Rolle als Prosumer – als Energiekonsument und -produzent gleichermassen. Denn private Photovoltaikanlagen, Batteriespeicher und Wärmepumpen machen nicht nur ihre Besitzer unabhängiger, sondern helfen auch dabei, die natürlichen Schwankungen bei der Produktion von erneuerbarer Energie auszugleichen und halten so das Stromnetz stabil

Gut zu wissen: Warum haben Windräder drei Flügel?
Drei Flügel sind der beste Kompromiss aus Windausbeute, Stabilität und Kosten. Ein einzelnes Rotorblatt würde unrund laufen und müsste mit einem Gegengewicht ausbalanciert werden. Zwei Rotorblätter wären ebenfalls denkbar. Maschinen mit einem oder zwei Rotorblättern drehen allerdings rascher und erzeugen dadurch störende Nebengeräusche. Auch vier Rotorblätter wären möglich. Je mehr Rotorblätter eine Windkraftanlage hat, umso rascher läuft sie bei schwachem Wind an. Bei starken Winden stören zu viele Rotorblätter allerdings die Ausbeute, da sie dem Wind viel Angriffsfl äche bieten. Dadurch müssen Fundamente und Komponenten stärker ausgelegt werden. Zudem kosten Rotorblätter viel Geld. Weil das untere Rotorblatt nahe am Boden weniger Wind einfängt als das obere auf über 100 Metern Höhe, sind Windkraftanlagen mit drei Rotorblättern auch bezüglich der Stabilität optimal ausgelegt und verteilen die Kräfte, die auf sie einwirken. Aus diesen Gründen werden heute fast ausschliesslich Anlagen mit drei Rotorblättern und horizontaler Achse gebaut.