Handelsware Strom
Strom wird in Europa grenzübergreifend gehandelt. Energieversorger kaufen und verkaufen virtuell Strom an der Börse, oft Jahre im Voraus. Doch der Markt ist volatil, wie die jüngste Vergangenheit zeigt. Strategische Beschaffung ist deshalb entscheidend, um attraktive Preise zu gewährleisten.
Die Strombörse funktioniert ähnlich wie die Warenterminbörse. Energieversorger, die temporär oder dauerhaft zu wenig Strom produzieren, um die Nachfrage zu decken, kaufen bereits heute den Strom für die kommenden Jahre. So können sie sich vor Preisschwankungen schützen. Kraftwerkbetreiber bieten umgekehrt ihre künftige Produktion zum Verkauf. In der Schweiz bis sechs Jahre im Voraus, in Deutschland sogar bis zu zehn Jahre in die Zukunft.
Preisschwankungen am Markt
«Damit Energie gehandelt werden kann, wird sie in standardisierte Produkte verpackt », erklärt Jürg Rutschi. Als Leiter des Portfolio-Managements sind er und sein Team für die Energiebeschaffung der AEW zuständig. Er nennt als Beispiel den Terminmarkt, wo Energieversorger ihren langfristigen Strombedarf abdecken: «Ich kann heute beispielsweise ein sogenanntes ‹Jahresbase› für das Kalenderjahr 2026 erwerben. Der Kauf berechtigt zum Bezug einer konstanten Leistung – zum Beispiel ein Megawatt – während 365 Tagen, rund um die Uhr.» Der Experte rechnet vor: «Aktuell kostet eine Megawattstunde knapp achtzig Franken, bei jährlich 8760 Stunden ergibt sich ein Preis von rund 700000 Franken. » Dieser Betrag ist fix, unabhängig von den realen Strompreisen im Bezugsjahr. Denn natürlich ändern die Grossmarktpreise ständig. Lange Zeit in einem moderaten Rahmen – bis 2021. Die Strompreise zogen damals zum Ende des Jahres stark an und schossen mit dem russischen Angriff auf die Ukraine durch die Decke. Wer nicht rechtzeitig vorgesorgt hatte, musste Strom jetzt zu exorbitanten Preisen beschaffen: Ende August 2022 kostete eine Megawattstunde am kurzfristigen Spot-Markt fast neunhundert Franken. Zwar sind die Preise seither deutlich gesunken, dennoch sind die Folgen bis heute spürbar: Der Strom, den auch Schweizer Energieversorger im Sommer 2022 eingekauft haben, wird teilweise erst heute an die Kunden geliefert – zu den damals geltenden Preisen.
«Aktuell beschafft die AEW Strom für die kommenden drei Jahre.»

Jürg Rutschi, Leiter Portfolio-Management bei der AEW
Vorausschauende Planung
Wichtig ist für Jürg Rutschi und sein Team deshalb vor allem die mittel- und langfristige Beschaffungsstrategie. Der Teamleiter wählt einen treffenden Vergleich: «Ich erkläre das gerne anhand von Legosteinen: Mit den langen Bausteinen legen wir zuerst eine solide Basis. Sie entspricht der Energiemenge, die wir zusätzlich zu unserer Eigenproduktion in einem bestimmten Zeitraum voraussichtlich benötigen werden.» Aufgrund von Erfahrungswerten und Prognosen lässt sich dieser Bedarf auf mehrere Jahre relativ genau abschätzen. Aktuell beschafft die AEW Strom für die kommenden drei Jahre. Weil laufend neue, aktuelle Daten in die Vorhersagemodelle einfliessen, kristallisiert sich der prognostizierte Bedarf immer klarer heraus. «So brauchen wir mit der Zeit immer kleinere Legosteine, um die zu erwartenden Verbrauchsprofile möglichst exakt abzubilden», erklärt Jürg Rutschi.
Breite Produktpalette
Grossverbrauchern bietet die AEW bei der Energiebeschaffung verschiedene Optionen und Produkte, die attraktive Preise unter Ausnutzung der Marktbewegungen ermöglichen. Die grossen Stromverbraucher mit einem jährlichen Verbrauch von mehr als einhundert Megawattstunden können ihren Stromlieferanten frei wählen. Diese Kunden werden jeweils von einem Sales-Manager der AEW betreut und können die aktuellen Marktpreise jederzeit über den AEW Pricemonitor abfragen. Besteht ein Liefervertrag mit der AEW, wird der Energiebedarf des Kunden am Markt beschafft. Dazu wird an den Strommärkten eine breite Produktpalette angeboten: auf Jahres-, Quartals-, Monats- oder Wochenebene, für bestimmte Tage oder sogar stundenweise. «Viele Grossverbraucher haben einen schwankenden Verbrauch, sie benötigen kurzfristig mehr oder auch weniger Leistung als ursprünglich geplant», sagt Jürg Rutschi. Dann ist es Aufgabe des zuständigen Portfolio-Managers die benötigte Strommenge im Voraus möglichst präzise vorherzusagen und am Spot-Markt (kurzfristig bzw. tagesaktuell) die nötigen Geschäfte zu tätigen.
Die Schweiz: Import und Export
Die Schweiz produziert zwar über das ganze Jahr hinweg genügend Strom, um den eigenen Bedarf zu decken. Er wird allerdings nicht unbedingt dann produziert, wenn am meisten Energie benötigt wird. So produziert die Schweiz dank Wasserkraft und Photovoltaik im Frühjahr und im Sommer viel Strom – mehr als sie selbst verbraucht. Weil die Speicherkapazitäten begrenzt sind, wird der Überschuss exportiert. In der kalten Jahreszeit hingegen ist die Schweiz auf Importe angewiesen. Da trifft es sich gut, dass nordische Länder im Winterhalbjahr viel Windenergie produzieren und an der Börse anbieten können. Dank dem europäischen Verbundnetz fliesst der Strom in ganz Europa länderübergreifend – die Schweiz ist dabei mittendrin