Die Sonne liefert
Es ist verblüffend: In nur einer Stunde strahlt die Sonne so viel Energie auf die Erde, wie die gesamte Menschheit in einem ganzen Jahr verbraucht. Auf Dächern und Fassaden der Schweiz könnte mehr Strom produziert werden, als wir derzeit verbrauchen. Um dieses Potenzial effektiv zu nutzen, sind innovative Lösungen und neue Wege gefragt.
Der Solarausbau in der Schweiz startet durch: 2024 wurden in der Schweiz knapp 1 800 Megawatt (MW) Leistung installiert, im vergangenen Jahr deckte die Sonne erstmals mehr als zehn Prozent unseres Stromverbrauchs. Landesweit sind aktuell rund 270 000 Photovoltaik-Anlagen in Betrieb – mit einer Leistung von insgesamt über 8 000 MW. Allein Dächer und Fassaden von Gebäuden hätten das Potenzial, 67 Terawattstunden (TWh) Elektrizität pro Jahr zu erzeugen. Das ist mehr als alle Schweizer Wasser- und Kernkraftwerke zusammen produzieren. Photovoltaik ist derzeit die einzige Technologie, die schnell, kostengünstig und im grossen Stil ausgebaut werden kann. Während das Potenzial der Wasserkraft weitgehend ausgeschöpft ist und Windkraft- oder gar neue Kernkraftwerke langwierige Bewilligungsverfahren durchlaufen müssen, steht die Sonne praktisch unbegrenzt zur Verfügung. Sie ist der Schlüssel, wenn die Schweiz die Ziele ihrer Energiestrategie erreichen will.
Neue Vergütungsregelungen
Der Solarexpress hat allerdings auch eine Kehrseite. Die AEW Experten Holger Habenicht und Janick Lehmann sind sich einig: «Solarstrom nur zu verkaufen, lohnt sich immer weniger.» Das hat mit der Umsetzung des neuen Stromgesetzes zu tun: Die Vergütung für Solarstrom richtet sich ab 2026 nach einem gemittelten Referenz-Marktpreis, der quartalsweise vom Bundesamt für Energie (BFE) publiziert wird. Bis dahin unterscheiden sich die Vergütungsansätze für eingespeisten Solarstrom je nach Verteilnetzbetreiber. Die Logik dahinter ist einfach: Solarstrom wird tagsüber erzeugt – also genau dann, wenn (insbesondere im Sommer) oft ein Überangebot besteht. Die Marktpreise sind in diesen Stunden tief – und das wirkt sich auf die Einspeisevergütung aus. So schafft die Umstellung zwar Transparenz und Vereinheitlichung, aber sie verlagert auch mehr Risiko auf die Betreiberinnen und Betreiber. Ihre Vergütung hängt künftig noch stärker vom Strommarkt ab – und dieser kann sehr volatil sein. Die Lösung für Eigentümerinnen und Eigentümer von PV-Anlagen liegt deshalb auf der Hand: Sie sollten den selber produzierten Strom auch möglichst selber verbrauchen – ein hoher Eigenverbrauch lohnt sich mehr denn je.
Produktion und Verbrauch abstimmen
Stark an Bedeutung gewinnen dürften stationäre Batteriespeicher. Denn mit einer eigenen Batterie kann der Eigenverbrauch optimiert und die Netzeinspeisung auf ein Minimum reduziert werden. Holger Habenicht ist Produktmanager bei AEW myHome und kennt sich mit Energiesystemen für Ein- und Mehrfamilienhäuser aus. Er rechnet vor: «Ohne Speicher können im Schnitt etwa 30 Prozent des erzeugten Solarstroms selbst genutzt werden, der Rest fliesst ins Netz. Mit einem Batteriespeicher verdoppelt sich der Eigennutzungsgrad bereits auf zwei Drittel.» Und: «Wenn Produktion und Verbrauch durch eine ‹smarte› Steuerung aufeinander abgestimmt werden, liegen weitere zehn bis fünfzehn Prozent drin», sagt er. «Insgesamt kommt man so auf etwa 80 Prozent Eigennutzung.» Waschmaschine oder Geschirrspüler starten nicht mehr auf Knopfdruck, sondern dann, wenn die Sonne scheint und viel Solarstrom verfügbar ist. Auch Wärmepumpen können so programmiert werden, dass sie tagsüber Wärme in den Speicher laden – statt nachts mit teurem Netzstrom zu laufen. «Mittlerweile», erklärt Holger Habenicht, «ergänzen rund 80 Prozent unserer Kundschaft ihre Anlage mit einem Batteriespeicher.» Weil Batteriespeicher billiger, Strom hingegen tendenziell teurer geworden sei, amortisiere sich eine Anlage mit Batteriespeicher heute sogar schneller als ohne – trotz höherer Gesamtkosten.
Clevere Lösungen
Ähnlich präsentiert sich die Situation für Janick Lehmann – allerdings in ganz anderen Dimensionen. Der 33-Jährige betreut bei der AEW die Contracting-Anlagen: grosse Solaranlagen, welche auf geeigneten Dächern installiert und betrieben werden. Die AEW übernimmt sämtliche Investitions- und Betriebskosten, der Contracting-Partner stellt sein Dach zur Verfügung und erhält im Gegenzug entweder eine Miete oder bezieht vergünstigten Solarstrom. Für ein Contracting muss ein Dach mindestens 1 000 Quadratmeter nutzbare Fläche bieten. Dachflächen dieser Grössenordnung finden sich etwa auf Industrie- und Gewerbehallen, landwirtschaftlichen Nutzgebäuden, aber auch öffentlichen Gebäuden wie Schulhäusern oder Altersheimen. Während Industriebetriebe meist einen hohen Eigenverbrauch und wenig Überschuss haben, liegen Bauernhöfe häufig abseits, sind netzseitig schlecht erschlossen und haben kaum nennenswerten Eigenverbrauch im Verhältnis zur vorhandenen Dachfläche. «In beiden Fällen sind Batteriespeicher aber meist keine wirtschaftliche Lösung», sagt Janick Lehmann und erklärt: «Wenn es keinen Überschuss gibt, kann kein Strom gespeichert werden – ist der Überschuss hingegen zu gross und der Verbrauch zu klein, ist der Speicher immer voll und kann nicht entleert werden.» Dennoch glaubt er, dass Batteriespeicher in Zukunft auch bei Grossanlagen Sinn machen können – der Schlüssel dazu sei eine clevere Bewirtschaftung mit Mehrfachnutzen. Eigenverbrauchserhöhung, Peakshaving oder Systemdienstleistungen helfen für einen wirtschaftlichen Betrieb von Batteriespeichern. So könnten beispielsweise mehrere Batterien in einem virtuellen Pool zusammengefasst und für Systemdienstleistungen genutzt werden: Leistungen, die notwendig sind, damit das Stromnetz stabil und sicher funktioniert, etwa das Ausgleichen von Schwankungen zwischen Stromerzeugung und -verbrauch. Die Swissgrid vergütet das Erbringen von Systemdienstleistungen, was die Rentabilität von Batteriespeichern erhöht. Die Sonne scheint weiterhin gratis – um ihre Energie wirtschaftlich sinnvoll zu nutzen, braucht es aber einen Wandel im Denken: Wer heute in Solarstrom investiert, investiert nicht nur in eine nachhaltige Energiezukunft, sondern auch in Unabhängigkeit und Versorgungssicherheit.