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Rückenwind für die Energiewende

Auf die Solaroffensive folgt der «Windexpress»: Durch Gesetzesänderungen will die Politik den Ausbau der Windenergie in der Schweiz ankurbeln. AEW Projektleiter Roland Eichenberger kennt die Bewilligungsverfahren aus der Praxis und sagt: Es gibt Spielraum für Verbesserungen. Im Interview gibt er einen Einblick in die geplanten Windprojekte im Aargau.

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In der Schweiz sieht man nur selten Windräder. Woran liegt’s?

Roland Eichenberger: Zum einen ist der planerische Umfang vergleichbar mit einem mittelgrossen Infrastrukturprojekt – einer Ortsumfahrung oder einem Sportstadion etwa. Zum anderen tangieren Windparks sehr viele unterschiedliche Interessen. Dadurch haben Windenergieprojekte in der Schweiz heute eine Projektlaufzeit von 17 bis 25 Jahren.

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Roland Eichenberger

Es gibt viele gute Gründe, die für Windenergie sprechen. Wo sehen Sie die grössten Vorteile?

Während die Sonne im Sommer am längsten scheint und die Flüsse das meiste Wasser im Sommerhalbjahr führen, bläst der Wind von Herbst bis Frühling am stärksten. Windenergie liefert also am meisten Strom im Winter und ist deshalb die ideale Ergänzung zu Photovoltaik und Wasserkraft. Wenn wir die Winterstromlücke nicht mit Erneuerbaren schliessen können, müssen wir Gaskraftwerke bauen. Das würde die Klimabilanz unseres Strommixes verschlechtern. 

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Aber lohnt sich Windenergie auch? Schliesslich sind hohe Investitionen nötig und der Bau verschlingt viel Energie.

Die alpine Photovoltaik, Biomassekraftwerke und die Windenergie können in der Schweiz relevante Winterstrompotenziale bereitstellen. Das Wasserkraftpotenzial der Schweiz allein reicht nicht aus. Vergleicht man die Produktionskosten, so schneidet Windenergie sehr gut ab: Die Gestehungskosten einer Kilowattstunde betragen zwischen 10 und 20 Rappen. Bei der alpinen Photovoltaik liegen sie bei über 20 Rappen und Biomasse kommt sogar auf 20 bis 40 Rappen pro Kilowattstunde. Das hat neben betrieblichen Gründen auch damit zu tun, dass in Windkraftanlagen relativ wenig graue Energie steckt. So bezeichnet man die Energie, welche Bau und Betrieb der Anlagen benötigen. Nach wenigen Monaten hat ein Windkraftwerk diese Energiemenge wieder eingespielt und produziert danach noch 20 bis 30 Jahre lang weiter. Zudem brauchen Windturbinen wenig Platz: Der Windpark Lindenberg wird zum Beispiel rund 25 Gigawattstunden (GWh) auf 0,1 Hektaren produzieren. Für diese Energiemenge braucht eine alpine Photovoltaikanlage rund 28 Hektaren Land.

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Der Windpark JUVENT auf dem Mont-Crosin

Der grösste und älteste Windpark der Schweiz steht auf dem Mont-Crosin im Berner Jura. Im Jahr 1996 wurden hier die ersten drei Windturbinen installiert, heute umfasst der
Windpark 16 Windkraftanlagen: 12 Turbinen mit einem Rotordurchmesser von 90 Meter und einer Leistung von 2 Megawatt (MW) sowie vier Anlagen mit 112 Meter Rotordurchmesser und einer Generatorleistung von 3,3 MW. Im Jahr 2022 lag die Jahresproduktion mit 79,7 Gigawattstunden (GWh) deutlich über dem Sollwert. Besonders deutlich wird die Bedeutung von Windenergie für die Stromversorgung im Winter: Zwei Drittel des Stroms wurden während der Wintermonate erzeugt. Die AEW ist seit 1996 am Windpark beteiligt. Weitere Informationen sind unter www.juvent.ch abrufbar. Über den Apple AppStore oder den Google Play Store kann die Juvent App heruntergeladen werden, in der die aktuellen Produktionszahlen der einzelnen Turbinen in Realtime angezeigt werden.

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Die Politik möchte Windkraftprojekte nun viel schneller umsetzen – unter anderem mit einem dringlichen Bundesgesetz. Ist das zielführend?

Will die Schweiz die Winterstromlücke mit erneuerbaren Energien füllen, muss sie die Verfahren straffen. Wobei auch neue Verfahren den demokratischen Mitbestimmungsrechten gerecht werden müssen. Die Verfahren für Grosskraftwerke, sei es Wind- oder Wasserkraft, dauern heute eine Generation. Es gibt also viel Spielraum für Verbesserungen. Derzeit laufen Bestrebungen, die Verfahren für Windenergieprojekte zu verkürzen. Im Sommer wurde die parlamentarische Initiative zur Beschleunigung von fortgeschrittenen Windkraftprojekten, der sogenannte Windexpress, angenommen. Dieser beschränkt die Rechtsmittel gegen die Baubewilligungen von Projekten, deren Nutzungsplanung angenommen wurde, auf das oberste kantonale Gericht. Bislang konnte selbst bei Projekten, deren Nutzungsplanung durch die Gemeindeversammlung angenommen und vom Bundesgericht bestätigt wurde, erneut bis vor Bundesgericht gegen die Baubewilligung geklagt werden. Weitere Verbesserungen bringt der in der Herbstsession verabschiedete Energie-Mantelerlass. Neu wird der Windenergie gegenüber anderen Interessen mehr Gewicht verliehen, was die Interessenabwägung vereinfacht. Eine echte Verfahrensbeschleunigung steht aber noch aus. Der Bundesrat hat deshalb im Sommer eine Änderung des Energiegesetzes angestossen. Mit dem sogenannten Beschleunigungserlass wird ein konzentriertes Plangenehmigungsverfahren angestrebt, der Standortkanton würde dabei als zentrale Anlaufstelle die erforderlichen Bewilligungen koordinieren und erteilen.

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Windpark

Die AEW ist an den Windparkprojekten Lindenberg und Burg beteiligt. Was ist der aktuelle Stand der beiden Projekte?

Das Projektareal des Windparks Burg liegt auf einer Jurahöhe im Grenzgebiet der Kantone Solothurn und Aargau. Im solothurnischen Kienberg hat sich die Bevölkerung im Dezember 2018 dafür ausgesprochen, dem Windparkprojekt Land zur Verfügung zu stellen. Der Kienberger Gemeinderat kann auf dieser Grundlage die Umzonung für die vier Anlagen auf Gemeindegebiet vornehmen. Eine Anlage steht auf Aargauer Boden und die Abstimmung wird voraussichtlich 2024 erfolgen. Im Falle des Windparks Lindenberg sind wir in der zweiten Vorprüfung. Hier ist es ebenfalls möglich, dass die Gemeinde 2024 über das Nutzungsplanverfahren abstimmen kann. Bei beiden Windparks kann von den Einsprechenden allerdings noch der Gerichtsweg gegangen werden.

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Die AEW ist seit 1996 am Windpark Juvent im Berner Jura beteiligt. Es ist also viel Know-how vorhanden. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?

Aufgrund seiner langen Betriebszeit kann man von diesem Projekt tatsächlich viel lernen. So hat die Anlage das erste Mal gezeigt, dass Windparks in der Schweiz wirtschaftlich betrieben werden können. Zudem geniesst der Windpark in der Region hohe Akzeptanz, weil Landwirte und Bevölkerung stets einbezogen werden. Der Windpark ist heute Teil der regionalen Realität und ein lokaler Wirtschaftsfaktor. Betreiber, Bevölkerung und Landwirte stehen auch heute noch in einem fortwährenden Austausch. Das möchten wir auch in unseren Aargauer Projekten so handhaben.

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Gemäss Bund ist das Potenzial für Windenergie in der Schweiz deutlich höher als bisher angenommen. Überrascht?

Nein. Das liegt hauptsächlich daran, dass es heute wesentlich effizientere Anlagen gibt als bei der ersten Erhebung des Schweizer Windpotenzials im Jahr 2004. Letztendlich zeigt sich aber erst im Planungsprozess, welches Potenzial wirklich genutzt werden kann. Sicher ist, dass wir heute dank des technologischen Fortschritts mehr potenzielle Standorte haben als 2004.

Das Gespräch führte Markus Sulger